Ein Eisvogelpaar hat sich an der Töss im Bereich der Redynamisierungsstrecke Mittlere Au eine Bruthöhle ins Ufer gegraben und dort seine Jungen aufgezogen. Die renaturierte Umgebung ist gleichzeitig Anziehungspunkt für zahlreiche erholungssuchende Städter, die dort Baden und Grillieren. Damit die Eisvögel ihre Brut trotzdem erfolgreich aufziehen konnten, wurden die Mitglieder der Natur- und Vogelschutzvereins Winterthur-Seen aktiv und haben mit persönlichen und schriftlichen Informationen vor Ort um Rücksichtnahme geworben. Die Aktion endete mit einem erfolgreichen Brutabschluss.
Brutgebiet Linsental
Das Eisvogelpaar war von Mitte Juli bis anfangs August an der Töss zwischen Winterthur-Sennhof und Winterthur-Töss am Füttern von Jungvögeln. Das Gebiet im Linsental wird naturnah bewirtschaftet und man fördert eine natürliche Flusslandschaft. Der Eisvogel gräbt sich Brutröhren in kahle, weiche Steilhänge. Solche von Hochwassern geschaffenen senkrechten Uferwände aus sandig-lehmigem Material sind aufgrund von Uferverbauungen und Flussbegradigungen selten geworden. In der Mittleren Au hat die Töss nun das linke Flussufer angefressen und eine solche Stelle neu geschaffen.
Nahrung und Bestand in der Schweiz
Der Eisvogel lebt das ganze Jahr hindurch in der Schweiz. Man findet ihn entlang von fischreichen langsam fliessenden Flüssen, an Teichen und Seen in den Niederungen i.d.R. bis 700 m.ü.M. Er ernährt sich hauptsächlich von kleinen Fischen, aber auch von Kaulquappen, Fröschen, Wasserinsekten und deren Larven. Er braucht täglich mehr als die Hälfte des eigenen Körpergewichts an Nahrung. In der Schweiz wurden bei Zählungen in den letzten 20 Jahren rund 300 - 350 Brutpaare registriert. Dank Renaturierungen nimmt der Bestand der Eisvögel heute wieder zu
Verpaarung und Brutröhrenbau
Die Eisvögel leben im Herbst und Winter strikt einzelgängerisch. Sie verteidigen ihr Revier von 2-7 km Länge vehement. Im Februar-März verpaaren sie sich nach einer Angewöhnungsphase. Männchen und Weibchen jagen sich in wilden Balzflügen. Er überreicht ihr Fische als Brautgeschenk. Zusammen graben sie eine 50-90 cm lange leicht ansteigende Röhre mit Bruthöhle am Ende des Ganges. Während ein Vogel draussen Wache hält, treibt der andere mit seinem meisselartigen Schnabel den Bau voran und schiebt mit den Füssen und dem Schwanz das Material rückwärts nach draussen.
Chronologie einer Brut
Graben einer Bruthöhle: 4 – 10 Tage (tw auch länger)
Eierlegen: 1 Ei pro Tag, 4 - 9 Stück: 4 – 9 Tage
Ausbrüten der Eier : 18 – 21 Tage
Aufziehen der Jungen in der Höhle: 23 – 27 Tage
Junge Mitte Juli geschlüpft
Die Bruthöhle an der Mittleren Au wurde am 25.6.15 von Stefan Wassmer entdeckt. Anschliessend wurde laufend beobachtet, wie Eisvogel-Weibchen und Männchen abwechselnd in die Höhle einflogen respektive diese verliessen (Brutablösungen). Am Montag 13.7.15 wurde das Austragen einer Eierschale gesichtet. Ab Mittwoch 15.7.15 wurden beide Eisvögel beim Fischeintrag beobachtet. Es waren folglich Junge geschlüpft. Vermutlich handelt es sich um eine Zweitbrut, möglicherweise vom selben Paar, das im Frühling schon in der Nähe der Brunibrücke gebrütet hatte.
Jungenaufzucht in der Höhle
Es folgte die intensive und sensible Zeit der Jungenaufzucht während knapp 4 Wochen. Das heisse Sommerferienwetter lockte viele Erholungssuchende an die Mittlere Au. Es war ungewiss, ob das Eisvogelpaar die Brut durchzog oder wieder aufgeben würde. Anfangs waren die Eisvögel untertags wenig zu sehen. Herr Eisvogel zeigte jedoch zunehmend Pepp und flog in seinem charakteristisch schnurgeraden Flug teils mitten durch die Gäste hindurch. Meist blieb er unbemerkt. Frau Eisvogel war scheuer und mehrheitlich in den ruhigen Morgenstunden sowie abends nach Abzug der Badenden zu beobachten. Das Paar entwickelte verschiedene Anflugstrategien und nutzte Ansitze auf Ästen unter Gebüschen. Von Ästen aus und selbst von Steinen und der Kiesbank aus erbeuteten sie stosstauchend Fische, die in die Höhle gebracht wurden. Ab dem 20.8.15 entfernten sich Männchen und Weibchen oftmals gleichzeitig in selber Richtung. Frau Eisvogel wurde immer seltener gesehen. Ob sie parallel noch mit einer dritten Brut angefangen hat – Schachtelbruten sind möglich - konnte nicht ermittelt werden.
Ausflug und WegzugAm 25. Tag nach dem Schlüpfen sah man das Männchen rufend vor der Höhle sitzen ohne einzufliegen. Am Folgemorgen, am
7.8.15, wurde beobachtet, wie zwei bis drei Jungen ausflogen. Die Jungen müssen ohne Testflug abheben und dann eine Punktlandung auf einem Ast hinlegen. Der Vatervogel war nicht immer sichtbar, warnte aber mit Pfiffen vor Gefahren. Er demonstrierte den Jungen das Jagen – und frass den Fisch dann selber. Die Jungen beobachteten ihn neugierig, aber ganz still sitzend. Sie nahmen ihre Umgebung aufmerksam wahr. Flugzeugen folgten sie gebannt mit Blick nach oben. Am Abend fütterte der Vater die zwei Jungvögel noch.
Wenn die Jungvögel das Nest verlassen haben, werden sie von ihren Eltern bereits nach zwei bis drei Tagen rigoros aus dem Revier vertrieben. Nun müssen die Jungen sich ein eigenes Gebiet suchen. Am 9.8.15 war noch ein Jungvogel in der Mittleren Au zu beobachten.
Die Altvögel kümmern sich anschliessend um eine neue Brut oder trennen sich voneinander und verbringen den Winter wieder einzeln. Im nächsten Frühjahr verpaaren sie sich erneut, oft mit einem neuen Partner.
Chancen und Gefahren für den Eisvogel
Die Sterblichkeit der Eisvögel liegt bei hohen 70%. Sie kommen wegen Futtermangel, Kollisionen mit Glas, Fahrzeugen oder Fahrleitungen um sowie infolge Jagd durch Tier und Mensch. Wenige Exemplare werden demnach 3 Jahre alt und älter. Der älteste beringte Eisvogel war jedoch 12-jährig.
Bei zugefrorenen Gewässern verhungern viele Eisvögel. In sehr harten Wintern können die Bestände um über 80% zurückgehen. Durch die hohe Fortpflanzungsrate von zwei bis drei Bruten jährlich (teils Schachtelbruten) erholen sich die Bestände jedoch regelmässig wieder.
Der Eisvogel braucht einerseits klare fischreiche Gewässer und andererseits Steilwände zum Brüten. Er kann gefördert werden durch ein gutes Angebot an Brutwänden (auch künstliche) sowie Schutz vor Störungen. Geeignete Brutwände sind Mangelware. So hat er 2013 wenige Tage nach einem Hochwasser in einem Uferanriss oberhalb Sennhof sofort mit dem Bau einer Brutröhre begonnen, den Standort aber wieder verlassen, da offenbar ungeeignet. Dass der Eisvogel trotz der vielen Menschen an der Mittleren Au gebrütet hat, zeigt, wie kompromissbereit er für einen Brutstandort sein muss.
Fakten und Legenden
Der Eisvogel ist 16 -17 cm gross (etwas grösser als ein Hausspatz), wiegt zwischen 34-46 g (weniger als ½ Tafel Schokolade), hat eine Spannweite von 24-26 cm (etwas weniger als A4-quer) und eine Schnabellänge von 4 cm.
Beim Männchen ist der Schnabel ganz schwarz, beim
Weibchen ist die untere Schnabelhälfte teils rot (Lippenstift!)
- dadurch sind die Geschlechter optisch unterscheidbar.
Einer französischen Legende nach wurde der Eisvogel von Noah beauftragt, nach Festland Ausschau zu halten. Wegen eines Sturms flog der Eisvogel so hoch, dass die Glut der Sonne unter ihm sein Bauchgefieder orange färbte und der Himmel über ihm ihm die blau-türkis Rückenfärbung gab.
Der Name ‚Eisvogel‘ hat mit Eis kaum etwas zu tun - langanhaltendes eisiges Wetter ist für den Eisvogel tödlich. Vermutlich geht der Name auf das althochdeutsche Wort ‚eisan‘ zurück. ‚Eisan‘ heisst ‚schillern‘ oder ‚glänzen‘. Wer die schillernden Farben des ‚fliegenden Edelsteins‘ schon mal beobachten konnte, wird den Zusammenhang nachvollziehen können.
Danke
Ein Bravo und Danke geht an all die Besucher und Anspruchsgruppen in der Mittleren Au, die Interesse, Toleranz und Rücksichtnahme gezeigt haben.
Ein herzliches Danke geht ausserdem an alle näher Beteiligten, die mit ihrem Beitrag eine erfolgreiche Eisvogelbrut unterstützt haben.
Wenn Naherholung und Wildtierrevier sich kreuzen…
Eine kleine Erfolgsgeschichte.
12.08.15, NVSV Winterthur-Seen
Bilder:
- Linkes Tössufer an der Mittleren Au im Linsental mit Hinweistafel (SW)
- Bruthöhleneingang in der Steilwand (SW)
- Eisvogel (Männchen/m) mit Fisch zum Werben / Füttern (SW)
- Eisvogel (w) mit Dreck vom Höhlenbau an der Schnabelspitze (SW)
- Eisvogel (m) auf Stein mit Fisch im Schnabel (AE)
- Eisvogel (m) im Flug, pfeilgerade, mit Fisch im Schnabel (BH)
- Zwei junge Eisvögel beobachten ein Flugzeug (BH)
- Junger Eisvogel mit noch kurzem Schnabel und dunklen Füssen, auf Ast sitzend (AE)
- Eisvogel (m) vor Sonnenaufgang auf Ast sitzend auf der Tössinsel (AE)
- Junger Eisvogel streckt seine Flügel und balanciert auf Ast (BH)
- Eisvogel (w) auf steiler Sitzwarte (SW)
- Eisvogel (m) in Rückenansicht auf Ast sitzend (SW)
AE: Alois Egli, Winterthur: akutelle Bilder von der Mittleren Au (2015) sowie junger Eisvogel (Bild Nr. 8) aufgenommen aus einem Holzverschlag/Hide heraus in La Sauge/NE (2014)
BH: Beat Hess, Neftenbach: aktuelle Bilder von der Mittleren Au, Linsental, Winterthur (2015)
SW: Stephan Wassmer, Winterthur: aktuelle Bilder von der Mittleren Au (2015) sowie Nahaufnahmen (Nr. 3,4,11,12) aufgenommen in Rumänien aus einem Tarnversteck heraus Mitte Juni 2015
Text:
Miryam Studer, Seuzach; Stephan Wassmer, Winterthur
Beobachtungen:
Mitglieder des NVSV Winterthur-Seen und Interessierte, Mittlere Au, Linsental, Juni – August 2015
Verwendete Literatur:
- Bachmann Stefan (2006): ,Wappentier des Naturschutzes‘. In Ornis, Zeitschrift des Schweizer Vogelschutze SVS/BirdLife Schweiz, S. 15-17
- Balzari Carl’Antonio, Gygax Andreas (2010): Vogelarten der Schweiz, Der Bestimmungsführer,
1. Auflage, Haupt Verlag, Bern, S.192-193
- Bauer Hans-Günther, Bezzel Einhard, Fiedler Wolfgang (Hg.) (2012): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas, Ein umfassendes Handbuch zu Biologie, Gefährdung und Schutz, 2. Auflage, Aula Verlag, Wiebelsheim, S. 756 – 759
- BNV Basellandschaftlicher Natur- und Vogelschutzverband (Hg.) (2010): Ornithologische Steckbriefe, Band Nichtsingvögel. 4. Auflage, Liestal
- Maumary Lionel, Vallotton Laurent, Knaus Peter (Hg.) (2007): Die Vögel der Schweiz, Schweizerische Vogelwarte, Sempach, und Nos Oiseaux, Montmolin, S. 466 - 469
- Wikipedia ‚Eisvogel‘, https://de.wikipedia.org/wiki/Eisvoge